Gesundheit

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Zwangsuntersuchung oder freiwillige Gesundheitsvorsorge? Safer Sex, aber wie? Was macht Sexworker krank?

Mit Dr. Christian Fiala, Christine Nagl und Sexarbeiter*innen diskutieren.

Chatprotokoll vom 11.4.2016 15:00 - 17:00 Uhr

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Tina Leisch: Hallo, liebe Leute!
Tina Leisch: Willkommen in der Lustwerkstatt.
Tina Leisch: Ich begrüße Christine Nagl, die in Salzburg am Computer sitzt.
Tina Leisch: Sie ist Sprecherin des Sexworkerforums www.sexworker.at
Tina Leisch: und Projektleiterin der Salzburger NGO PiA, die Sexarbeiter*innen berät.
Tina Leisch: Und ich begrüße Dr.Christian Fiala, Arzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe in Wien.
Tina Leisch: Ich begrüße Alma Hadzibeganovic, die zur Geschichte der Sexarbeit und vor allem auch zur Geschichte der Regulierungen von Sexarbeit geforscht hat.
Tina Leisch: Lieber Herr Fiala, wenn wir über Gesundheitsvorsorge für Sexarbeiter*innen sprechen, welche spezifischen Bedürfnisse gibt es da?
christine nagl: Und liebe Tina, außerdem Mitglied der Arbeitsgruppe Prostitution Österreich. Gerade bin ich damit beschäftigt, die Auswirkungen der Untersuchung für SexarbeiterInnen in Österreich zu erfassen. Ich begrüße alle Interessierten.
Tina Leisch: Liebe Christine, Österreich ist das letzte Land in Europa, das noch die Zwangsuntersuchung hat.
christine nagl: Eine kleine Ergänzung. Die Untersuchungen in Österreich werden in erster Linie von Dermatologinnen durchgeführt und nicht von Gynäkologinnen, dies ist schon das erste Problem.
Christian Fiala: Zunächst müssen wir festlegen ob wir eine Moral basierte oder eine Fakten basierte Diskussion führen wollen.
christine nagl: Nicht ganz - Die Untersuchungen werden in sehr unregelmäßigen Abständen (sicher aus monetären Gründen) in Griechenland noch durchgeführt, als auch in Zypern.
christine nagl: ? Müssen wir das? Ist das nicht schon von Haus aus logisch, dass wir uns auf Fakten orientieren wollen?
Tina Leisch: @Fiala: Welche krankheiten betreffen besonders Sexarbeiter*innen?
christine nagl: *konzentrieren statt orientieren
christine nagl: Sexarbeiterinnen sind Frauen, wie andere Frauen auch - haben nur vielleicht mehr geschützten Geschlechtsverkehr als andere Frauen.
Christian Fiala: Wenn wir Fakten diskutieren, dann müssen wir sehen, welche Krankheiten treten wo wie oft auf, wer ist im Risiko und kann oder will unsere Gesellschaft intervenieren.
christine nagl: *geschütztem Geschlechtsverkehr im Verhältnis zu ungeschützem Geschlechtsverkehr - ergänzend zum vorherigen Beitrag
Tina Leisch: @Alma: Seit wann gibt es denn diese Zwangsuntersuchungen?
Christian Fiala: Sexuell übertragbare Infektionen waren bis zur Entdeckung von Antibiotika ein grosses Risiko für den/die Einzelnen aber auch für die Gesellschaft, denen alle schutzlos ausgeliefert waren. Aus dieser Hilflosigkeit wurden gewisse soziale Regeln abgeleitet, sozusagen als Verzweiflungstat. Aber heute haben wir sehr wirksame Antibiotika und die STDs sind sehr gut zu behandeln und haben ihren Schrecken verloren. Deshalb muss unsere Gesellschaft auch neue Regeln für den Umgang mit STDs finden, anstatt an den überholten Massnahmen festzuhalten.
Violet: vielleicht eine dumme Frage aber welche überholten Maßnahmen meinen sie?
Christian Fiala: Heute müssen wir uns ansehen, wo treten diese Infektionen, insbesondere Gonorrhoe (Tripper) und Syphilis häufig auf, will unsere Gesellschaft intervenieren und macht das Sinn?
Alma: Im Jahre 1850 wurde die Untersuchung zweimal wöchentlich eingeführt.
christine nagl: Genau. Und es wäre vielleicht besser, ALLE über die sachgemäße Verwendung von Präventionsmaterialien (z.B. Kondome) aufzuklären. Denn nur die Verwendung eines Kondoms kann vor Ansteckung schützen und nicht eine Gesundheitskarte.
Tina Leisch: Ich habe gelesen, die Sexarbeiter*innen seien die gesündeste Bevölkerungsgruppe in Wien, stimmt das?
christine nagl: Nicht die Huren sind schlecht, sondern die Gesetze. Es gab einen Artikel im Kurier über eine Untersuchung der medizinischen Fachzeitung Lancet
Christian Fiala: Überholte Massnahmen sind z.B. die Zwangsuntersuchung von SexarbeiterInnen. Diese Massnahme basiert auf einem überholen medizinischen und gesellschaftlichen Konzept. Sie ist wenig bis gar nicht wirksam im Sinne der Reduktion von sexuell übertragbaren Infektionen in unserer Gesellschaft.
Tina Leisch: Erklärung: STD Sexually transmitted deseases=sexuell übertragbare klrankheiten
christine nagl: Und außerdem eine Menschenrechtsverletzung.
Tina Leisch: @ Fiala: Warum wirken die Zwangsuntersuchungen nicht?
christine nagl: Wird von der WHO stark kritisiert, das österreichische Gesundheitsministerium war deshalb schon öfter unter Beschuss - aber leider noch zu wenig.
Alma: Frage an Christine Nagl: ich habe gelesen von Verletzungen, das Sexarbeiterinnen bei Untersuchungen körperlich verletzt wurden. Stimmt das? Wissen Sie darüber Genaueres?
Tina Leisch: @ Christine: Welche Art der Gesundheitsvorsorge wünschen sich denn die Sexarbeiter*innen, die du berätst?
Christian Fiala: Am häufigsten kommen sexuell übertragbare Infektionen bei homosexuellen Männern mit häufigem Partnerwechsel vor und bei MigrantenInnen, die diese Infektionen aus ihrem Heimatland mitbringen. Wenn wir also die Häufigkeit dieser Infektionen reduzieren wollen, dann müssten wir diese Gruppen regelmässig untersuchen.
christine nagl: Ja, das stimmt. Wir haben immer wieder damit zu tun, dass Sexarbeiterinnen nach den Untersuchungen 2-3 Tage nicht arbeiten können, da die Ärztinnen bei den jeweiligen Untersuchungen/ Abstrichen so feinfühlig umgingen.
christine nagl: Die Ärztinnen sagen den Frauen, die sich beschweren: Das muss bluten, damit wir sehen können, ob du krank bist.
Tina Leisch: @Christine Nagl: wenn ich richtig informiert bin, müssen Sexarbeiter*innen alle sechs Wochen sich untersuchen lassen und das in ihre Gesundheitskarte eintragen lassen, sonst können sie bestraft werden?e
christine nagl: Die Kontrolluntersuchung impliziert potenziellen Kunden, sie hätten es mit einer gesunden Geschlechtspartnerin zu tun, deshalb sind sie sehr risikofreudig!
Tina Leisch: Wo und von wem werden die Untersuchungen gemacht? Können die Sexarbeiter*innen zu einem Arzt/einer Ärztin ihres vertrauen gehen oder wie läuft das ab?
Christian Fiala: Ganz generell sind Zwangsmaßnahmen im Gesundheitswesen nicht zielführend. Im Wesentlichen weil dies die Menschen zu Vermeidungsstrategien motiviert. Die Sinnlosigkeit der Zwangsmassnahmen bei Sexarbeiterinnen wird ja auch offiziell anerkannt, wenn die große Zahl an 'illegal' arbeitenden Sexarbeiterinnen bestätigt wird. Deshalb wäre es viel sinnvoller Anreize zu schaffen, so wie sich das in allen anderen Bereichen auch bewährt hat. Z.B. Sexarbeiterinnen eine kostenlose gynäkologische Untersuchung incl. kostenloser Verhütung und allenfalls auch kostenlosem Schwangerschaftstest anzubieten. Das wäre eine Massnahme, die von vielen angenommen würde und wirksam wäre. Gleichzeitig müsste man aber auch bei den wirklichen Risikogruppen für sexuell übertragbare Infektionen (ein Teil der homosexuellen Männer und Migranten) wirksame Massnahmen setzen.
christine nagl: @Tina Leisch: Bestraft in dem Sinne nicht, aber sie können nicht legal arbeiten. Und die meisten Sexarbeiterinnen arbeiten in Betrieben, die diese Kontrollkarten überprüfen. In Bordellen in Tirol findet die Untersuchung sogar im Bordell statt.
Tina Leisch: @Fiala: Warum wenden sich denn diese Massnahmen immer nur an die Sexarbeiter*innen und nicht an die Kunden?
christine nagl: Untersuchungen finden in jedem Bundesland verschieden statt. In den meisten werden die Untersuchungen in den Gesundheitsämtern ausgeführt, oder an Ärzte ausgelagert. Die Besonderheit in Tirol habe ich bereits erwähnt. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, die Sexarbeiterinnen können sich die Ärzte nicht aussuchen.
Christian Fiala: Weil wir eben immer noch ein katholisches Land sind, in dem zahlreiche Bereiche nach 'moralischen'/religiösen Aspekten behandelt werden anstatt diese inhaltlich zu diskutieren.
christine nagl: Ich glaube nicht, dass vor jedem Bordell eine Kontrollbox des Gesundheitsamtes für Kunden/Kundinnen funktionieren würde. Vieles würde sich dann auch in die Illegalität verlagern.
Alma: schliesse mich an die Frage von Tina an... Kunden erscheinen in der ganzen Sache immer noch als ein blinder Fleck.
christine nagl: Dazu: Bei den Protestanten funktioniert es auch nicht - siehe Schweden.
christine nagl: Ich denke, man muss dieses Thema genauso angehen wie bei der AIDS Prävention in den 80ern. Aufklärung, freiwillige, niedrigschwellige Angebote - die kostengünstig sind, Präventionsmaterialien zur Verfügung stellen, die Zielgruppe mit ins Boot holen.
christine nagl: Mit der Zielgruppe sind auch die KundInnen gemeint - also (fast?) die ganze Gesellschaft.
Alma: christine nagl: das ist aus meiner Sicht die einzig richtige Methode.
Christian Fiala: Die allgemeine Aufregung über STDs ist historisch begründet aber heute medizinisch überholt, bzw. nicht nachvollziehbar. Weil diese Infektionen gut behandelbar sind, wenn man/frau zum Arzt geht. Deshalb kommen sie auch in der allgemeinen heterosexellen Bevölkerung in Europa kaum mehr vor.
Tina Leisch: Stimmt es, dass es Länder gibt, in denen ungeschütze sexuelle Dienstleistungen verboten sind?
Alma: Man nimmt immer noch an, dass andere Menschen, Nicht-Sexworker, Sex nur in der Ehe haben und ansonsten keusch sind.
christine nagl: In München zum Beispiel sind sexuelle Dienstleistungen ohne Kondom verboten, was dazu führt, dass die Polizei direkt bei Geschlechtsverkehr in die Zimmer stürzt und kontrolliert, ob ein Kondom benutzt wird.
Tina Leisch: @ Fiala: vor welchen Krankheiten schütze die Kondome, vor welchen nicht?
Violet: @Leisch interessante Frage würde mich auch interessieren
Tina Leisch: @ Christine: Man liest oft, dass Sexarbeiter*innen beziehungsweise Betreiber*innen von Sexlokalen mit ungeschütztem Sex werben. Naturfranzösisch. AlgerienfranzösischNatur, verkehr ohne, liest man oft auf den Webseiten.
Tina Leisch: Was sagst du dazu?
Christian Fiala: Kondome schützen nur vor einem Teil der sexuell übertragbaren Infektionen, bzw. Krankheiten. Sie schützen gut vorr Gonorrhoe (Tripper) und teilweise vor Syphilis. Sie schützen aber z.B. gar nicht vor Filzläusen. D.h. Kondome sind sinnvoll aber kein absoluter Schutz. Und Kondome sind nur in mittelmässig wirksamer Schutz vor ungewollten Schwangerschaften.
christine nagl: Es gibt ein ausführliches Konzept, das CHECKING THE CLIENTS, ich gebe es an die Sexarbeiterinnen weiter und habe es auch ein bisschen umgearbeitet. Zum Beispiel sollte man Kunden beim Waschen auf Feigwarzen kontrollieren, denn die sind unangenehm und vor denen können Kondome nicht schützen.
Tina Leisch: Wie kann man Feigwarzen erkennen?
christine nagl: @Tina: Indem man sie sieht und wenn man weiß, wie diese aussehen.
christine nagl: *am besten mit Handschuhen
christine nagl: @Tina: Solange Sexarbeiterinnen in Österreich nicht selbstständig arbeiten können, müssen sie sich den Betreibern der Lokale fügen. Und deshalb Only rights can prevent the wrongs!
Tina Leisch: warum bestehen viele Sexarbeiter*innen zwar auf Kondome beim Vaginal- oder Analsex, bieten aber schon Naturfranzösisch an?
Christian Fiala: Wichtig ist zu berücksichtigen, dass polizeiliche, bzw. Zwangsmassnahmen wenig wirksam sind im Gesundheitswesen. Die Häufigkeit von STDs ist in dem 70-er und 80-er Jahren stark zurückgegangen, weil das Tabu schwächer wurde und die Menschen eher zum Arzt gingen, bevor sie jemand angesteckt haben. Nach wie vor sind STDs heute selten in West-Europa, nicht weil die Menschen wenig Sex haben, sondern weil diejenigen, die eine Entzündung haben gleich zum Arzt zu gehen.
christine nagl: *zum Checking the Clients: Wir verteilen auch Dentaldam für Oralsex (Mann bei Frau) um vor Ansteckungen zu schützen.
christine nagl: @Tina: Weil der wirtschaftliche Druck so hoch ist und Männer (Kunden) dabei keine Angst vor Ansteckung haben.
Tina Leisch: @ gibt es Daten dazu, wie sich die gesundheitslage der Sexarbeiter*innen dort verändert hat, wo die Untersuchungen abgeschafft wurden?
Christian Fiala: Auch vor Feigwarzen (Condylomen) schützen Kondome nur teilweise.
Tina Leisch: @Fiala Und HIV? Ist ja immer noch nicht heilbar, oder? Und sexuall übertragbar...
Tina Leisch: Wie kann man sich davor wirksam schützen?
christine nagl: @Tina: Ja, ich habe Unterlagen der deutschen AIDS- Hilfe und sehr kennzeichnend ist, dass bei den derzeitigen Umbauten der deutschen Gesetzen der deutsche Ärzterat sich aufgrund dieser Untersuchungen deutlich von jeder Wiedereinführung von Zwangsuntersuchungen distanziert hat.
christine nagl: @Fiala: Genau das habe ich eben gemeint. Checking the Clients ist eine gute Präventionsmaßnahme, die sich schon sehr lange bewährt hat.
Christian Fiala: Die Zwangsuntersuchung hat praktisch keine Auswirkung auf den Gesundheitszustand der SexarbeiterInnen. Erstens wird mit dieser Massnahme ja nur ein kleiner Teil der SexarbeiterInnen erfasst. Und zweitens werden bei den Zwangsmassnahmen ja nur Abstriche auf Infektionen gemacht und eben keine anderen Untersuchungen. Das ist ja auch eines der Probleme dieser Massnahme. Wenn schon, dann müsste das eine normale medizinisch/gynäkologische Untersuchung sein, bei der alles abgeklärt und behandelt wird, was der/die PatientIn vorbringt.
Tina Leisch: Und warum gibt es die Zwangsuntersuchung in Österreich immer noch? Wer hat daran so großes Interesse?
Tina Leisch: @Fiala: Welche Infektionen werden den beiden Zwangsuntersuchungen überhaupt abgeklärt?
Christian Fiala: Die Zwangsuntersuchungen sind ein gutes Beispiel für eine 'Moral' dominierte Politik anstatt einer Fakten dominierten Politik.
Tina Leisch: @Alma Wie wurde den die Einführung der Zwangsuntersuchung im 19 . Jahrhundert begründet?
Christian Fiala: Und mit angeblicher 'Moral' kann man auch Macht generieren, die ansonsten zerfallen würde. Siehe z.B. auch das 'Geschäftskonzept' von Religion mit Sünde, Busse etc. D.h. Machtstrukturen haben ein Interesse daran, dass Strukturen erhalten bleiben, auch wenn diese inhaltlich schon lange keinen Sinn mehr machen.
christine nagl: @Tina: BetreiberInnen, VertreterInnen der Exekutive, Amtsärzte/innen, Mitarbeiter/Innen von Gesundheitämtern, KundInnen, Menschen die andere kontrollieren wollen.
Alma: Könnten bestimmte Berufsgruppen Interesse daran haben, die Zwangsuntersuchung aufrecht zu erhalten. Im 19. Jahrhudnert gaben Polizeiwundärzte einander die KLinke.
christine nagl: P.S.: Spannend ist, dass die Kontrolluntersuchung besondere Wichtigkeit im Dritten Reich bekommen hat, z.B. bei den Frontbordellen und dass die zum Teil dort verdingten Jüdinnen zwangssterilisiert worden sind.
Alma: In den Niederlanden wurde die Zwangsuntersuchung bereits im 19. Jahrhudnert von anderen Ärzten scharf kritisiert und in Folge abgeschafft.
Alma: In Österreich wurde die Zwangsuntersuchung zusammen mit der Registrierung eingeführt, nach dem Vorbild anderer europäischer Länder, Frankreich und Niederlande.
Alma: Als Gründe gab man in Wien an die besorgniserregende Ausbreitung der Syphilis, die Zahlen sprechen allerdings dagegen.
Alma: Man hat immer eng mit der Polizei zusammengearbeitet.
Tina Leisch: @Alma & Christine: Hängt die Zwangsuntersuchung mit der Registrierungspflicht zusammen? Also: wird die Pflicht, sich bei der Polizei als Sexarbeiter*in registrieren zu lassen mit der Zwangsuntersuchung begründet?
Tina Leisch: Könnte das ein Grund sein, dass die Behörden auf der Untersuchung beharren, weil sie sonst auch keinen grund mehr hätten, die Sexworker zu regiustrieren?
Christian Fiala: Mit HIV wird in der heterosexuellen Bevölkerung viel Panik erzeugt. Obwohl wir inzwischen Daten aus über 30 Jahren haben, die eindeutig zeigen, dass von HIV im Wesentlichen ein Teil der homosexuellen Männer und iv Drogenabhängig betroffen sind. In der allgemeinen heterosexuellen Bevölkerung breitet sich HIV nicht selbstständig aus. Allerdings wurde mit der unbegründeten Panik in den vergangenen 30 Jahren von einigen Firmen und Organisationen viel Geld verdient.
christine nagl: @Tina: Ja, natürlich. Und in den meisten Bundesländern ist es so, dass die Arbeiterinnen keine Termine in den Gesundheitsämtern bekommen, wenn sie nicht registriert sind.
Alma: @Tina Leisch: Eindeutig hängt die Regsitrerungspflicht mit der Zwangsuntersuchung zusammen, das eine gibt es ohne das Andere nicht, seit den Anfängen
christine nagl: @Tina: Außerdem, ist es in den Medien ein weitverbreitetes Bild mit der krankmachenden, in die Familie eindringende Sexarbeiterin, Stimmungen zu erzeugen.
Tina Leisch: @ Fiala: Warum sind Migrant*innen eine Risikogruppe?
christine nagl: Die amtliche Registrierung ist äußerst problematisch für Sexarbeiterinnen. Denn sie sind Mütter, Großmütter, sie sind Studentinnen, Hausfrauen, Call-Center-Mitarbeiterinnen, Lehrerinnen, Sozialarbeiterinnen, Mindest-Rentnerinnen, Pflegerinnen, Ärztinnen usw. und können und wollen weder kontrolliert, noch registriert werden. Wer weiß, ob die Daten zum Beispiel ans Jugendamt weitergegeben werden, oder an ähnliche Einrichtungen.
Christian Fiala: Sexuell übertragbare Krankheiten/Infektionen kommen häufig in armen Ländern vor, sind armuts-assoziiert. Nicht weil Menschen mehr Sex hätten, sondern weil Menschen in der Armut seltener zum Arzt gehen und dann andere anstecken. Im 'Westen' haben Menschen wesentlich mehr Sex als in ärmeren Ländern, aber sie gehen eher zum Arzt, wenn sie Symptome haben, bevor sie jemand anderes anstecken. Deshalb gibt es bei uns wenig STDs und in ärmeren Ländern mehr. MigrantenInnne bringen die in ihrem Heimatland häufig vorkommenden Krankheiten mit, auch STDs.
Tina Leisch: @ Fiala: Stimmt es, dass beschnittene Männer weniger sexuell übertragbare Krankheiten übertragen? Und sich weniger infizieren?
Christian Fiala: Das ist vollkommen falsch. Die sog. 'Beschneidung' ist in Wahrheit eine Verstümmelung, bei Frauen wie bei Männern. Der Grund für diese Massnahme ist ja in archaischen Traditionen und widerspricht den Menschenrechten, wenn sie bei Kindern und ohne wirksames Einverständnis vorgenommen wird. Es ist ja vielsagend, dass praktisch kein erwachsener Mann/Frau sich das machen lässt. Weder bei Frauen noch bei Männern gibt es für diese Verstümmlung eine medizinische Begründung. Die wirksamste Massnahme zur Reduktion von STDs ist der uneingeschränkte allgemeine Zugang zu medizinischer Behandlung. Das Beispiel West-Europa zeigt dies sehr gut auf. Wir haben eine noch nie dagewesen niedrige Rate an STDs. In den USA ist diese zB. höher, obwohl dort sehr viele Männer eine MGM (male genital mutilation) über sich ergehen lassen mussten.
Tina Leisch: Wir sprechen jetzt immer nur von sexuell übertragbaren Krankheiten. Wie sieht es mit den bedürfnissen vonS exarbeiter*innen z.B. nach psychologischer Hilfestellung in so einem oft schwierigen Beruf aus?
christine nagl: @Tina: Einrichtungen, die sich mit Frauenthemen befassen haben schon seit Jahren kein Geld mehr, ihren Mitarbeiterinnen Subventionen zu bezahlen. Nicht, dass ich glaube, Sexarbeit ist ein leichter Beruf, aber warum hinterfragt man das nicht in anderen Berufsfeldern, die vielleicht noch mehr ans Eingemachte gehen?
Christian Fiala: Bei dieser Frage geht es wie sonst auch häufig um die Bevormundung von Menschen. Und während wir zwar im Aussen recht selbstbestimmt sind, unsere politischen Vertreter, Partner, Beruf usw wählen dürfen, mischt sich der Staat und die Kirche immer noch in die intimsten Lebensbereiche ein. Das Ergebnis ist vorhersehbar negativ bis katastrophal. Die Lösung ist die Selbstbestimmung nicht nur im Aussen, sondern auch über den eigenen Körper. Die Fakten unterstützen diesen Zugang.
Alma: Wie sehen Sie Frau Nagl und Dr. Fiala, die Verkürzung der gesundheitlichen Untersuchung für Sexarbeiterinnen, von einmal wöchentlich auf jede sechs Wochen? Manche Organisationen (SOPHIE) sehen darin ein zufriedenstellendes Ergebnis.
christine nagl: @Alma: Ich sehe dieses Ergebnis als überhaupt nicht zufriedenstellend, denn eine Menschenrechtsverletzung ist eine Menschenrechtsverletzung, egal ob sie einmal wöchentlich, alle 6 Wochen, oder einmal im Jahr stattfindet. Das Problem, das ich jetzt sehe, dass diese neue Regelung keine Veränderung (Abschaffung) in den nächsten 3 Jahren erlaubt, denn man muss evaluieren, beobachten, usw. Da wär mir die wöchentliche Kontrolle lieber gewesen, weil nur so hätten wir vielleicht die Möglichkeit gehabt, schneller etwas zu verändern. Es ist halt auch eine Frage, wie weit man seine Fahne in den politischen Wind hängt... :)
christine nagl: Ich bedanke mich für die interessanten Fragen und Statements und grüße alle aus Salzburg - the austrian voice for sexworkers. Christine Nagl
Tina Leisch: Danke an alle für die interessanten Beiträge.
Tina Leisch: Ich glaube, wir können sagen, dass es darum geht, die zwangsuntersuchung endlich ganz abzuschaffen und vielleicht durch ein bedürfnisorientiertes, freiwilliges und unentgeltliches Angebot zu ersetzen.
Tina Leisch: Wir freuen uns auf den nächsten Chat am 30. April 2016 11:00 – 13:00 zum Thema Ent/Kriminalisierung
Tina Leisch: Bis dann!